Dienstag, 30. September 2014

Ponysommer



Edith Grotkop: Ponysommer. Menden (Edition Aktuell) 1991.

"Edition Aktuell" gab es bei uns immer beim Weltspartag, wenn man seine Spardose hinbrachte ;-). Ob man die tatsächlich auch im Handel kaufen konnte, weiß ich gar nicht - mir sind sie damals nie untergekommen. Die Bücher waren auch relativ kurz, und dieses bildet mit seinen 59 Seiten keine Ausnahme. Es ist also eher ein Buch für die jüngeren Leser (um die 8 Jahre vielleicht).

Die Hauptpersonen, Dirk und seine Schwester Carola, sind auch erst 11 bzw. 8 Jahre alt. Die beiden sind die Kinder des Tierarztes eines kleinen Städtchens, und als nach einem schweren Sturm der Zirkus seine Behausung verliert, nimmt die Familie die Ponystute Susi auf, die im schnell eingerichteten Schuppen ihr Fohlen zur Welt bringt.
Doch bald geht alles ganz schnell: Der Zirkus wird von einem größeren engagiert, der aber die Zirkusponys nicht brauchen kann. Da der Zirkus ohnehin Schulden hat, sollen die Ponys verkauft werden - nur wohin mit ihnen, bis Käufer gefunden sind? So nimmt die Tierarztfamilie letztlich sechs Zirkusponys auf, für die sie aber weder genügend Platz noch Zeit hat.
So versöhnt Dirk seinen Vater mit dessen Cousin, der eine Gastwirtschaft betreibt und die Ponys zum Kinderreiten kauft - bis auf Mäxchen, den der Vater der gehbehinderten Uschi für seine Tochter kauft. Max rettet dann auf der vorletzten Seite noch ein kleines Mädchen, das von einem Gewaltverbrecher angegriffen wird. Wir erfahren das allerdings nur ganz kurz und hastig von Uschi geschildert, weil einfach kein Platz mehr in diesem kurzen Buch ist. Das Ganze wirkt also etwas lieblos an die eigentliche Geschichte "herangepappt".
Eien sehr belanglose, schnell erzählte kleine Geschichte.

Siegesschleifen



Nan Inger Östman: Siegesschleifen. München (Arena) 1995.
Aus dem Schwedischen.

Dieses Buch ist in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich.
Zum einen liegt dies an der Erzählperspektive: Die Geschichte wird "von hinten aufgerollt", das heißt, wir erfahren die eigentlichen Begebenheiten als Rückblenden. Die Hauptperson, Jeanette, Nettan, liegt schwer verletzt auf der Intensivstation, nachdem sie von einem Auto angefahren wurde, und erinnert sich an die letzten Jahre, die sie, wie der Titel vermuten lässt, hauptsächlich auf Ponyturnieren zugebracht hat.

Was nun nach Ponymädchentraum klingt, ist es letztlich nicht - und damit sind wir beim anderen ungewöhnlichen Punkt, nämlich dem tiefgründigen Inhalt und den ungewöhnlichen Grauzonen und Nuancen in der Schilderung dieser Familiengeschichte.

Nettan und ihre große Schwester Madeleine (Madde) leiden unter dem Erfolgsdruck, den ihr Vater aufbaut. Obwohl beide Mädchen Ponys lieben und der Wunsch zu reiten von ihnen ausgeht, zeigt sich bald, dass der Vater seine eigenen Minderwertigkeitsgefühle und die soziale Außenseiterposition, die er als Schrotthändler einnimmt, mit seinen beiden Töchtern bereinigen möchte. Von den ersten Reitstunden zu den ersten Turniererfolgen ist es nur ein kleiner Schritt, und der Vater hat Blut geleckt. Von nun an steckt er einen Großteil seiner Zeit und seines Geldes in die Reiterei seiner Töchter, die bald ihre eigenen Ponys haben und auch die Ponys anderer Leute zur Verfügung gestellt bekommen.
Dabei interessiert ihn die Gefühlswelt seiner Familie wenig - als Nettan langsam  zu groß für ihr geliebtes Pony Misse wird, erfährt sie erst nach dem Verkauf, dass ihr Vater ihn abgegeben hat. Die Mutter kann dem Turnierzirkus nichts abgewinnen, fühlt sich zunehmend nutzlos und verlässt schließlich die Familie, um ihre eigenen Lebensträume zu erfüllen.
Madde wehrt sich auf ihre Weise: Als sie dem Ziel des Vaters, schwedische Ponymeisterin zu werden, ganz nahe ist, verlässt auch sie die Familie, bricht die Schule ab und geht als Au-Pair nach England.
Während Madde mit ihrem großen Selbstbewusstsein dem Vater noch einiges entgegensetzen kann, fühlt Nettan sich mehr und mehr unter Druck gesetzt. Sie hat das Gefühl, als Person nichts mehr zu gelten und nur für Erfolge überhaupt die Anerkennung des Vaters zu bekommen, nach der sie sich so sehnt.
Auf einem großen Turnier kommt es, wie es kommen muss, nämlich zum großen Knall: Gegen ihren Willen soll Nettan mit auf dem Abreiteplatz gebrochenem Daumen ein temperamentvolles Pony durch den Parcours steuern. Als sie es mit der verletzten Hand nicht mehr halten kann und es den Kurs verlässt, wirft ihr Vater ihr absichtliches Versagen vor.
Nettan läuft ziellos davon, und es kommt zum Unfall, der sie ins Krankenhaus bringt. Dort lässt sie - mit zunehmendem Abstand und am Ende auch erwachendem Verständnis für den Vater - alles Revue passieren. Der Vater bleibt hilflos, als seine Tochter ihn nicht sehen möchte (auch weil die Ärztin Missbrauch vermutet und ihn fernhält), die Mutter zeigt sich während ihres Besuches schon ganz im neuen Leben stehend, und man wird das Gefühl nicht los, dass Nettan sich selbst retten muss und dies nicht kann.
Doch mit der Heilung des Körpers und dem dringend nötigen Abstand gewinnt Nettan eine ruhigere Sicht auf die Dinge und die Zukunft. Dass ihre Schwester den Aufenthalt in England beendet, um wieder zu ihrer Familie zurückzukehren und den Schulabschluss zu machen, lässt hoffen, dass Nettan nun den nötigen Halt finden wird, um gemeinsam mit ihrer Familie und den Ponys, die sie zusammenschweißen, einen besseren Weg für ihre Zukunft zu finden.