Freitag, 10. Oktober 2014

Glück in kleinen Dosen

Lise Gast: Glück in kleinen Dosen. München (Goldmann) o. J.

Auch wenn es die Hauptperson Nele immer wieder zu den Pferden zieht: Ein typisches Pferdebuch ist dieses nicht. Lise Gast baut ein wenig auf ihrer eigenen Geschichte auf: Nele erlebt wie sie die Vorkriegsjahre und die Kriegswirren, lebt als Flüchtling (im Gegensatz zu Lise Gast allerdings mit nur einem Kind) und erfüllt sich vergleichsweise spät den Traum vom Leben mit Pferden.

Das Buch ist unpolitisch; wir erfahren nur, dass Neles Familie es für "Vaterlandsverrat" hält, dass ihr Jugendfreund Utz als Chemiker ins Ausland geht. Die Kriegsjahre werden übersprungen; in einem Moment ist Nele noch Schülerin der landwirtschaftlichen Schule (sie erträumt sich ein Leben auf dem Land, mit Pferden), im nächsten Kapitel hat der Krieg begonnen, und sie heiratet einen adligen Flieger.
Im nächsten Kapitel ist ihr gemeinsamer Sohn acht Jahre alt, der Krieg ist vorbei, und wir erfahren, dass Nele verwitwet ist und nun als Flüchtling in einer Fabrik im Osten Deutschlands arbeitet. Alles andere wird übersprungen. Verständlich, dass Lise Gast, die zwei Weltkriege erlebte, nicht vom Krieg schreiben wollte, verständlich auch, dass diejenigen, die ihr Schicksal teilten, nicht davon lesen wollten, aber das Buch wirkt so doch sehr episodenhaft.
Die wichtigen Episoden sind aber dabei, um den Titel verständlich zu machen: Auch Nele ist, trotz aller Schwierigkeiten, die erzähltechnisch im Hintergrund bleiben, kein bitterer, unglücklicher Mensch (zerbombtes Elternhaus, Tod des Ehemannes, Hungern in den Nachkriegsjahren, alles wird nur gestreift - vielleicht möchte man uns auch mitteilen, dass dies die einzige Möglichkeit war für diese Generation, Glück zu erleben: das Schwere beiseiteschiebend, sich auf das Schöne konzentrierend - denn das, das wird klar, ist trotz allem zu finden, zum Beispiel in der Freude, die Nele an ihrem Sohn hat, und später mit den Kindern des Bauernhofes, die sie versorgt).
Am Ende hilft der schwer kranke Utz Nele, in Westdeutschland Fuß zu fassen. Er selbst wird verhaftet, als er die Grenze nach Westdeutschland überqueren möchte, und zu lebenslanger Haft verurteilt. Neles Weg entspricht dem Lise Gasts in groben Zügen: Erst lebt sie in Westfalen, dann aber findet sie in Süddeutschland endlich einen Beruf mit Pferden (bei einem Reiterhotel mit Haflingern, nicht, wie Lise Gast, auf ihrem eigenen Ponyhof). Und letztlich kommt das Glück eigentlich noch in ganz großer Dosis zu ihr: Utz wird freigelassen, und es wird angedeutet, dass die beiden nun endlich das ihnen vom Schicksal lange verwehrte gemeinsame Leben führen können.

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